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EIN LEBENSBILD.
NACH SEINEN EIGENEN AUFZEICHNUNGEN DARGESTELLT UND
ERGÄNZT
VON
HELENE FICK GEB. IHLEE.
Als Manuskript gedruckt.
ZÜRICH
DRUCK VON J. SCHABELITZ
1897.
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A Portrait of his Life
FROM HIS OWN NOTES DESCRIBED AND COMPLEMENTED
BY
HELENE FICK NEE IHLEE.
As Manuscript printed.
ZÜRICH
PRINTED BY J. SCHABELITZ
1897.
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VORWORT
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FOREWARD
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Am 22. September 1895 haben sich zwei Augen
geschlossen, die während eines langen Menschenalters viel
Freud und Leid gesehen haben, ein Herz hat aufgehört zu
schlagen, das mit unendlicher Liebe an der Menschheit und ganz
besonders an seiner Familie gehangen hat, ein Geist ist ins All
zurückgekehrt, der nicht umsonst in sterblicher Hülle
seine Laufbahn durchwandelt hat. Heinrich Fick hat mit 72 Jahren
ein schönes, reiches Dasein beschlossen. Seine Leistungen als
Gelehrter werden ihm ein dauerndes Andenken sichern; wer ihm nahe
stand, wird ihn in treuer, liebevoller Erinnerung bewahren. Ein
Denkmal von Stein hat man ihm auf sein Grab gesetzt, ein noch
unvergänglicheres Denkmal hat er sich in den Herzen seiner
Angehörigen errichtet. Aber so lebendig und frisch auch sein
Bild in uns Allen weiterleben wird, diese Unvergänglichkeit
hat doch ihre Schranken. Generationen kommen und gehen, Bilder und
Erinnerungen verwischen sich und was heute noch ein bedeutender
Mittelpunkt scheint, ist in wenigen Dezennien zur verblassten
Tradition geworden und nur zu bald vollständiger Vergessenheit
anheim gefallen |
On 22nd September 1895 two eyes closed, which
during a long lifetime had seen much joy and sorrow, a heart had
ceased to beat, which had infinite love for mankind and special
devotion to his family, a spirit returned to heaven, which not
for nothing in mortal remains had durchwandelt his career.
For 72 years Heinrich Fick
had a beautiful and rich life. His
achievements as a scholar will secure him a lasting memory; whoever
was close to him, will have very happy memories of him. A stone
monument has been placed on his grave, but he has erected a more
immortal monument
in the hearts of his family. But however lively and
fresh his image will live on in all of us, this immortality still
has its limits. Generations come and go, pictures and memories fade
and what today still seems important, has in a few
Dezennien=decades? become a faded tradition and only too
soon has fallen completely into oblivion. |
Heinrich Fick ist wahrend langer Jahre der
Mittelpunkt der Familie gewesen, der Familie im weitesten Sinne.
Seine «Ringmauer» und später seine
«Klosburg» war das Mekka für die Pilgerzüge
der Verwandten, deren Huldigungen er, als Patriarch in seinem
«Königstuhl» thronend, mit unendlichem Behagen
entgegennahm. Einen ausgebildeteren Familiensinn wie den seinen
trifft man wohl selten an. «Blut ist ein ganz besonderer
Saft»; damit pflegte er seine unbegrenzte Liebe, zuweilen
auch blinde Nachsicht für Alles, was seinem Stamme, «der
Fick-Ollenhausen'schen Descendenz», angehörte, zu
motivieren. Neffen und Nichten, die ausnahmslos mit
schwärmerischer Liebe und Verehrung an ihm hingen, werden die
köstlichen Zeiten, die sie in seiner Nähe verbringen
konnten, wohl nie vergessen. Auch Diejenigen von deren Kindern, die
das Glück genossen, während seiner letzten Lebensjahre
beständig um ihn zu sein, sowie die zum Teil schon fast
erwachsenen Enkel werden den lieben, lustigen «Onkel
Grosspapa» noch eine Reihe von Jahren in der Erinnerung
behalten. Betrauert wurde er ja innig und aufrichtig von Gross und
Klein, aber ein Betrauern im gewöhnlichen Sinne genügt
nicht für ihn. Er will weiter leben unter uns, unter Denen,
die nach uns kommen; wir sollen immer an ihn denken, von ihm
sprechen, das war sein Begriff von der persönlichen
Unsterblichkeit, die er erhoffte und ersehnte. Und das ist es auch,
was mich zum Niederschreiben dieser Aufzeichnungen veranlasst. Ich
will sein liebes Bild nicht verblassen lassen unter Denen, die ihn
noch gekannt haben von Angesicht zu Angesicht, sie sollen durch die
schriftliche Ueberlieferung anknüpfen können an die
eigenen Erinnerungen. Den Kindern der Familie sollen vor Allem
diese Blätter gewidmet sein. Sie sollen, herangewachsen, den
Grossvater, den Grossonkel, kennen und würdigen lernen, sich
freuen an seiner Tüchtigkeit, seinem Geist, seinen Erfolgen,
nacheifern seinem rastlosen Fleiss, seiner zugleich idealen und
doch praktischen Lebensauffassung. Als lachender Philosoph gebe er
ein Beispiel, wie selbst das Schwerste im Leben sich
überwinden lässt, sein beharrliches Streben sei Allen ein
leuchtendes Vorbild, ein Beweis, wie weit man es aus eigener Kraft
bringen kann. In dem Sinne bringe er seinem geliebten
«Clan» noch auf lange Zeit hinaus dauernden
Nutzen! |
Heinrich Fick became over many years
the heart of his family - family in its widest sense. His
«Ringmauer» [wall] and later his «Klosburg»
was the Mecca for the pilgrimage of his relatives, whose
tributes, as patriach on his "throne", he accepted with infinite
relish. One probably rarely comes across such a developed sense of
family as his. "Blood is a rather special juice"; with that he
tended his boundless love, at times even blind tolerance for all,
who belonged to his family, "the Fick-Ollenhausen
Descendenz=descendants?". Nephews and nieces,
who without exception were devoted to him with effusive love and
admiration, become the wonderful times, which they could spend near
to him, probably never forgotten. Also those children, who
enjoyed the the luck to be constantly around him, during the last years of his
life, as well as the partly already almost
grown-up grandchildren will remember the kind, jolly "uncle
granddad" for a number of years. He would be mourned affectionately
and sincerely by great and small, but a mourning in the unusual
sense is not enough for him. He wants to live again amongst us,
amongst those, who come after us; we should always think about
him, to speak of him, that was his idea of personal immortality,
which he hoped for and longed for. And that is what the
writing down of these notes has achieved. Those, who have known him
face to face, should be able to preserve their own
memories through these writings. These pages should above all be
dedicated to the children of the family. They should grow up, to
know and appreciate the grandfather and great uncle, to get
pleasure from his ability, his spirit, his successes, to try to
emulate his restless diligence, his ideal and yet pratical view of
life. As a laughing philosopher he gave an example of how he himself
overcame the greatest difficulties in life, his dogged support a
vivid example to all, a proof, of how far one's own strength can
take one. In this sense he brought his "clan" a lasting benefit for
a long time yet! |
Er war stolz auf Die, welche vor ihm die Tendenz
des Aufstrebens und Blühens der Familie vertreten haben, er
hat sich ihnen würdig angeschlossen. Möge seine Hoffnung,
dass der Höhepunkt der Blüte noch nicht
überschritten sei, durch die kommende Generation zur Wahrheit
gemacht werden! |
He was proud of those before him, who represented
the tendency of the aspiring and blossoming of the family, that he was a
worthy successor of. His hope was that the peak of this
blossoming had still not reached, but would be by the coming
generations! |
Diese Blätter der Oeffentlichkeit zu
übergeben und dadurch einer Kritik zu unterwerfen, widerstrebt
mir und doch werden sie auch Andere, als Die, für welche sie
eigentlich bestimmt sind, in die Hand bekommen. Vieles kann nur
für die Familie Wert und Bedeutung haben, Manches scheint
vielleicht so geringfügig und unbedeutend, dass es kaum der
Erwähnung verdient, aber es sind Reminiscenzen, die nicht
verloren gehen sollen, und darum habe ich ohne langes Besinnen
Alles gebracht, was ich von Heinrichs Erzählungen in der
Erinnerung behalten habe. |
To publish these pages and submit them to
criticism, goes against the grain and yet they will also be
available to others, such as those, for who they are really meant.
Much can only have value and importance for the family, much
possibly appears so insignificant and unimportant, that it hardly
deserves the mention, but they are reminiscences, which should
not be lost, and I have included without a second thought,
what I have kept in my memory of Heinrich's
stories. |
Mag sich Jeder daraus nehmen, was ihn anspricht
und interessiert. Vieles gehört einer so weit hinter uns
liegenden Zeit an, dass es nicht ohne kulturhistorisches Interesse
sein dürfte, ich meine damit hauptsächlich die
Aufzeichnungen des Vaters aus dem Leben seiner Eltern und Das, was
Heinrich in seiner Selbstbiographie schildert. Im Uebrigen soll
nichts den Anspruch auf Bedeutung an sich erheben, sondern
einzig zur Charakteristik unserer Hauptperson und der Umgebung, in
welcher er aufgewachsen ist, beitragen. In dem Sinne darf ich wohl
eines freundlichen und nachsichtigen Urteils sicher sein. |
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Meine ursprüngliche Absicht, ein fertiges
abgerundetes Lebensbild zu geben, habe ich während der Arbeit
geäandert. Die Fülle des Materials, das mir
hauptsächlich aus der Jugendzeit zu Gebote stand, hat mich
gezwungen, es in zwei Teile zu teilen, in zwei Bänden
erscheinen zu lassen. |
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Zum Abschluss diese ersten Teiles schien mir das
Jahr 1848, das zugleich der Abschluss von Heinrichs Existenz in der
kurhessichen Heimat is, am geeignetsten. |
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Der Zweite Band, welchen ich in nicht allzu ferner
Zeit fertig zu stellen hoffe, soll sein Leben in der Fremde, oder
besser gesagt, in der ihm zur zweiten Heimat gewordenen Schweiz
bringen. |
The second volume, which I hope to complete in the
near future, will cover his life abroad, or perhaps it would be
better to say, his second home, in Switzerland. |
Zürich, Weihnachten, 1897. |
Zurich, Christmas, 1897. |
Helene Fick. |
Helene Fick. |
Illustration - Die Ficksche Mühle im
Sattelgrund |
Illustration - The Fick Mill in Sattelgrund |
Bei der Geschichte eines Menschen, der nicht nur
ein in sich abgeschlossenes Ganzes war, sich vielmehr mit Stolz und
Freude als ein Glied einer angesehenen, von Generation zu
Generation aufstrebenden Familie fühlte, ist es wohl
angezeigt, nicht erst mit dessen persönlichem Eintritt in die
Welt zu beginnen. |
With the history of a person, who was not only
self-contained but who, rather felt pride and joy as a member
of a respected up and coming family, it is probably advisable, not
to begin with his entry into the world |
Es sei mir daher gestattet, aus dem ziemlich
reichhaltigen Material, das mir zu Verfügung steht, das
Wichtigste und Interessanteste herauszugreifen, um die
Familientraditionen, die Heinrich mit grösster Pietät
gehegt und gepflegt hat, wiederzugeben. |
I'm allowed here to pick out, from the rather
extensive material that is available to me, the most important and
interesting bits, to describe the family tradition,
which Heinrich had taken care of with great
reverence. |
Nach diesen Traditionen stammt die Familie Fick
von protestantischen Religionsflüchtlingen aus dem
Salzburgischen
ab. Heinrichs Vater schreibt darüber in seinen Aufzeichnungen
folgendes: |
According to this tradition the Fick family is
descended from Protestant religious refugees from Salzburg.
Heinrich's father
wrote about them in
his notes as follows: |
Als im Anfange des vorigen Jahrhunderts der Herr
Erzbischof Firmian zu Salzburg in blinder Glaubenswut seine
zahlreichen protestantischen Unterthanen so grausam behandelte,
dass eine grosse Anzahl derselben sich genötigt sah, in ihrer
Glaubenstreue nach protestantischen Ländern auszuwandern, wo
man ihnen, besonders in Preussen, Ansbach-Baireuth u. s. w.,
liebreich entgegenkam, sollen auch vier Brüder Fick von diesem
harten Schicksal betroffen worden sein. Zwei davon, ein Leinweber
und ein Metzger, liessen sich im Baireuthschen nieder, der dritte,
ein Steinhauer, wendete sich nach dem Hannöverschen. Der
vierte Bruder jedoch scheint später zum katholischen Glauben
übergetreten und als Militär der Stammvater der in Baiern
eine Zeit lang blühenden freiherrlich von Fickschen Familie
geworden zu sein. [Footnote: Ein General von Fick hat der Tante Luise von
Arthaber etwas Aehnliches erzählt. (Anmerkung
Heinrichs.)] |
At the beginning of the previous century
Archbishop Firmian of Salzburg in a blind rage of faith so cruelly
treated his numerous Protestant subjects, that a large number of
them felt compelled by their faith to emmigrate to Protestant
countries, expecially Prussia, Ansbach-Bayreuth etc., where
concessions were made to them. Supposedly four Fick brothers fell
victim to this hard lot. Two of them, a linen weaver and a butcher,
settled in Bayreuth, the third a stone worker went to Hannover. The
fourth brother however appears to have later converted to the
Catholic faith and as soldier became the progenitor of the Freiherr
von Fick family which for a long time flourished in Bavaria. [Footnote: A
General von Fick had told Aunt Luise von Arthaber something similiar
(Heinrich's note)]. |
Wenigstens hat mich vor vielen Jahren der
königlich bairische Flügeladjutant Oberst von Fick durch
den Kammerherrn von der Tann, mit dem ich wegen einer zu bauenden
Rhönstrasse von Fulda nach Bischofsheim, bei Tann vorbei,
bekannt wurde, als von gemeinschaftlicher Abstammung begrüssen
lassen.» |
At least many years ago the royal Bavarian
Flügeladjutant [winged aide-de-camp] Colonel von Fick
with whom I became acquainted through the Kammerherrn von der Tann,
because of the building of the Rhönstrasse from
Fulda to Bischofsheim, near Tann, greeted as from common origins. |
Die historische Zuverlässigkeit dieser
Angaben ist jedoch nicht mit voller Bestimmtheit zu verbürgen;
wenigstens stimmen die Zeitangaben nicht. Aus Papieren, die sich
jetzt noch im Besitz der Sattelgrunder Müller befinden,
lässt sich nachweisen, dass der erste Besitzer der Mühle
ein um das Jahr 1702 herum in Heinersreuth in Oberfranken geborener
Hermann Fick gewesen ist, der ganz jung, zwischen 1720 und 1730,
geheiratet und die Mühle käuflich erworben hat. |
The historic accuracy of this information is
however not guaranteed with complete certainty; at least the exact
date is not right. Documents, which are still in the possession of
the Sattelgrund miller, prove that the first occupier of the mill
was Hermann Fick born about 1702
in Heinersreuth in Oberfranken. He
married quite young, between 1720 and 1730, and purchased the
mill. |
Die Ausweisung der Salzburger Protestanten aber
durch den Erzbischof Firmian, dieselbe, welche auch Goethe in
seinem «Hermann und Dorothea» benutzt hat, geschah erst
in den Jahren 1731 und 1732. Möglich ist es ja, dass zu
einer früheren Zeit die Vorfahren jenes Hermann Fick auch
ihres Glaubens wegen aus einem katholischen Land nach Franken
ausgewandert sind; die Eltern aber waren nachgewiesenermassen schon
angesessene Bauersleute in Heinersreuth. Durch diese erst vor
wenigen Jahren gemachten Nachforschungen [Durch Fritz und Ludwig
Fick im Sommer 1895 in Sattelgrund.] nehmen die seit Generationen
bestandenen Traditionen einen etwas sagenhaften Charakter an.
Jedoch braucht das Thatsächliche daran immer noch nicht
angezweifelt zu werden, da es sich genau ebenso, nur zu einer
andern Zeit, zugetragen haben kann. |
The explusion of the Salzburg Protestants by
Archbishop Firmian, which Goethe used in his "Hermann and
Dorothea", occurred in 1731 and 1732. It is possible, that at an
earlier time the ancestors of Hermann Fick
also had emmigrated from
a Catholic country because of their beliefs. However it is proved
that his parents had already settled as farmers in Heinersreuth. As
a result of the enquiries first made a few years ago [by Fritz and
Ludwig Fick in the summer of 1895 at Sattelgrund.] the traditions
which existed for generations take on a somewhat mythical
character. However we need not question that it occured exactly
like that, only that it might have occurred at another time. |
Aus den
Erinnerungen aus dem Leben meiner Voreltern und meinem eigenen
Leben,
welche Heinrichs Vater niedergeschrieben hat und die ich ihrer
Weitschweifigkeit wegen leider nicht wörtlich wiedergeben
kann, entnehme ich folgendes: |
From the
Memories of the life of my forefathers and my own life,
which Heinrich's father
wrote down and which because of its
long-windedness unfortunately I can not literally reproduce, I
quote the following: |
Von der im Baireuther Oberlande als Leinweber
angesiedelten Familie scheint nun der Müller Fick, auf den mit
Gewissheit die Abstammung der Familie zurückzuführen ist,
entsprossen zu sein. |
Of the family which settled in the Bayreuth
Oberlande as linen weavers only the
miller Fick appears with
certainty to have originated from that the family. |
Als Besitzer einer oberschlächtigen
Mühle in Sattelgrund erwarb sich dieser, mein Grossvater,
einiges Vermögen. Dadurch, dass die meisten Bewohner der
dortigen Gegend, der steilen Berge und engen Thäler, keinen
Feldbau treiben konnten, sich das Mehl beim nächsten
Müller kaufen mussten, um ihr Brot davon zu backen, war dieser
von der Natur auf den Getreidehandel hingewiesen. |
As the owner of an overshot mill in Sattelgrund,
my grandfather made a fortune.
The steep hills and narrow valleys
couldn't operate Feldbau, so most occupants of the area had
to buy their flour from the nearest miller, in order to bake their
bread, was this from the nature pointed to the corn trade |
Mein Grossvater betrieb nun diesen Handel mit so
viel Verstand und Rechtlichkeit, dass er als ein wahrer
Wohlthäter seiner ärmeren Mitmenschen in der Umgegend in
allgemeiner Achtung stand. Da kamen die Schreckensjahre 1770/71 und
1772 die grosse Hungersnot infolge der Teuerung der
Getreidefrüchte. Durch den Mangel an fahrbaren Strassen und
durch die falschen Massregeln der Hunderte von kleinen Regierungen
wurde diese Kalamität mit Gewalt noch schauderhafter gemacht.
Jeder kleine Dynast, Duodezfurst, Reichsgraf, selbst bloss
Reichsritter, jede Abtei und jedes Kloster glaubte in seinem
kleinen Territorium die Getreideausfuhr bei Konfiskation und
grausamen Freiheitsstrafen verbieten zu müssen, um von den
eigenen Unterthanen das drohende Gespenst des Hungertodes,
wenigstens für die erste Zeit, fernzuhalten. Durch freien
Getreideverkehr und schnell, notdürftig wenigstens, gebesserte
Wege wäre das Uebel weit wirksamer zu bekämpfen
gewesen. |
My grandfather
now ran this business with so much
common sense and Rechtlichkeit that he was well respected as
an real benefactor of his poor fellow human beings in the
surrounding area. Then came the terrible year 1770/71 and in 1772
the great famine as a result of the rise in the price of grain.
Because of the lack of good roads and because of the wrong
application of hundreds of petty regulations this calamity became
even more terrible. Every small dynasty, Duodezfurst,
imperial count, self bloss imperial knight, every abbey and
every monastery believed it must forbid the export of grain from
its small territory by confiscation and cruel imprisonment, in
order to keep the approaching ghost of famine from its own
subjects, at least for the first time. Through free grain trade and
quick, in emergency at least, improved roads was the evil to be
effectively combatted. |
Müller Fick half nun seinen Nachbarn so lange
aus, als er noch aus nächster Nähe Hülfsquellen
herbeizuschaffen im Stande war. Als aber auch diese völlig
versiegten, fasste er in seiner Grossherzigkeit den kühnen
Entschluss, mit einem vierspännigen Wagen sich in die
benachbarte Reichsgrafschaft Giech einzuschleichen, von woher er in
guten Zeiten öfters Getreide bezogen hatte und daher bekannt
und geachtet war, wurde aber mit Schiff und Geschirr und
angefangener Getreideladung gefangen genommen und nach dem
Hauptorte, dem Städtchen Thurnau, geführt, wo der
Reichsgraf von Giech residierte. Der damalige Herr hatte einen
Jugendfreund, Herrn von Olenhausen, nach Antritt der Regierung
seines kleinen Ländchens zu seinem Geheimenrate gemacht, der
ihm die Justizbeamtungsgeschäfte besorgte. Vor diesen
mächtigen Beamten wurde nun Müller Fick ins Verhör
geführt, von welchem er noch oft seinen Kindern erzählte:
wie er in seiner Angst wegen der ihm drohenden, seinen Wohlstand
auf lange Zeit zerstörenden Konfiskation von Schiff, Geschirr
und Ladung, und schwerer Freiheitsstrafe in einen starken Schweiss
ausgebrochen und in der Verlegenheit mit seinem zinnernen Kamm, den
er nach damaliger Sitte um das halbe Hinterhaupt herum trug,
beständig sein Haupthaar gekämmt, während er
einfach, wahrhaft und klar seine und seiner Mitbürger Lage und
Verhältnisse auseinandersetzte. Sei es, dass dem Geheimenrat
der Müller Fick schon früher als ein vortrefflicher Mann
bekannt war, sei es, dass er ihm erst in diesem Verhöre so
wohl gefiel, kurz
Er fühlte ein menschliches Rühren,
Lässt schnell vor den Herrn ihn führen,
nachdem er diesem wahrscheinlich vorher einen rührenden
Vortrag gehalten haben wird. |
Miller Fick
now helped out his neighbours as long
as he could from sources near at hand. However when these also
dried up completely, he made the bold decision to sneak into the
neighbouring Reichsgrafschaft of Giech with a wagon. In good
times he had often obtained grain there and he was well known and
respected. However he was arrested with Schiff und Geschirr
partly loaded with grain and taken to the main town, the little
town of Thurnau, where the Reichsgraf resided. After coming
to power in his little state, the ruler had made a friend from his
youth, Herr von Olenhausen, his privy councillor who looked after
judical matters. Miller Fick
was now interrogated by this powerful
official. He often told his children about it. How in his fear
because of the threat to his long time prosperity, with the
confiscation of his Schiff, Geschirr und Ladung, and a
severe prison sentence, he broke out in a heavy sweat and in his
embarrassment continually combed his Haupthaar with the
pewter comb, which according to the then custom he carried around
the half Hinterhaupt, whilst he simply and clearly explained
his fellow citizens position and circumstances. Be it, that
miller Fick
was already known as an excellent man to the privy councillor,
that he like him first in this interrogation so much, shortly
He felt a human pity,
quickly lead him before the ruler,
after that he this probably before a moving talk held have
become. |
Der Graf blickte ihn auch lange gnädig an,
darauf erfolgte der überaus milde Spruch: Das bereits geladene
Getreide müsst Ihr den Leuten zurückliefern, da den
Leuten der Verkauf ins Ausland streng verboten ist. Aber ich will
Ihm von meinem eigenen Getreideboden so viel ablassen, als Ihr
bedürft und zwar zu einem Preis, der für Eure armen
Nachbarn nicht zu hoch sein wird. So kehrte der beglückte
Müller mit einer schweren Ladung zurück, und wer
hätte es damals für möglich gehalten, dass schon
nach zehn Jahren der Sohn des armen geängstigten Mannes und
die Tochter des mächtigen Ministers sich heiraten und die
Stammeltern einer zahlreichen, den höheren wissenschaftlichen
Kreisen angehörenden Familie werden würden. |
The Graf looked kindly on him and the
result was an extremely mild sentence. The grain already loaded
must be given back, since export was strictly forbidden. However I
want you to take from my own grain store as much as you need and
that at a price which will not be too high for your poor
neighbours. So the delighted miller returned with a heavy load. Who
would have thought it possible that after ten years the son of the
poor frightened man and the daughter of the mighty minister would
be married and the founders of a numerous family, belonging to the
higher academic circles. |
Der Uebergang dieser schlichten einfachen Familie
durch einen ihrer Söhne in wissenschaftliche Bahnen hatte aber
eine sonderbare, ganz geringfügige Ursache. Müller Fick
lehnte eines Tages im offenen Fenster und sah seinem kleinen, etwa
vierjährigen Sohne zu, wie dieser barfuss, mit einer weissen
baumwollenen Nachtmütze auf dem Kopfe, in dem vor dem Hause
vorüberrauschenden Bache patschte und mit den Händen nach
Forellen fischte. Der Junge hatte einen sehr starken Fisch auf dem
Korne, der sich jedoch in eine starke Steinritze am felsigen Ufer
flüchtete und nicht wieder heraus wollte. Nun nahm der Junge
seine Mütze ab, spannte sie vor der Steinritze auf und
kitzelte den Fisch mit einem kleinen Stöckchen so lange, bis
derselbe herausfuhr und mit dem Kopfe und halben Oberkörper in
der Mütze gefangen war, die er nunmehr mit beiden Händen
zusammenhielt. Der Fisch aber schlug gewaltig um sich, so dass der
Kleine mehrmals umfiel, jedoch den Fisch durchaus nicht fahren
liess, bis der Vater ihm zu Hülfe kam, so dass also der kleine
Junge den sehr starken Fisch richtig erobert hatte. Dieser Beweis
von Mut und Ueberlegung in so zartem Alter bestimmte nun den
Müller
zu dem Entschlusse: Dieser Junge muss studieren, damit etwas
Tüchtiges aus ihm wird. |
The transition by one of
the sons from this simple family into academia had however a quite
simple reason.
One day Miller Fick
leant out of the open window and watched his
small son who was nearly four years old. He was splashing, bare
foot, in the stream which flowed past the house, with a white cotton
nightcap on his head, fishing for trout with his hands. The
boy had a very big fish on the Korne. However, it taken
refuge in a crack in the rocky bank and didn't want to come out.
The boy took off his hat and spread it out in front of the crack.
He then tickled the fish with a little twig until it came out and
its head was caught in the hat, which he now held with both hands.
The fish however fought so hard, that the little one fell over
several times, still he would not let the fish go let, till his
father came to help him, and so the
little boy had beaten the very
big fish. This demonstration of pluck and intelligence at
such a tender age made the miller decide: the boy must study, so
that something could be made of him. |
Zu diesem Behufe wurde nun mein Vater in seinem
zwölften Jahre, nachdem ihn ein benachbarter Prediger etwas
vorbereitet hatte, auf das Gymnasium nach Koburg gebracht. Dieses
Gymnasium war damals in zwei Abteilungen geteilt: die erste,
Pädagogium genannt, enthielt die untersten drei oder vier
Klassen, die zweite, unter dem Namen Publicum, die höheren, wo
die schon ziemlich herangewachsenen Schüler alle Untugenden
der damaligen wirklichen Universitäten — burschikosen
Ton, in Saufereien ausartende Trinkgelage und Kommerse,
Landsmannschaften und geheime Verbindungen und so weiter —
nachmachten. Dort mag mein Vater den Studentengeist eingesogen
haben, der ihn nach Jena und Erlangen begleitete, ihm auf diesen
Universitäten viele Gefahren und Verdruss zuzog, ihn der
theologischen Laufbahn, für die er vom Vater bestimmt war,
entfremdete, jedoch einen kühnen männlichen Charakter und
höchst liberalen Geist in ihm ausbildete, wobei nicht geringe
geistige Anlagen zu Hülfe kamen. Er war auf beiden
Universitäten immer in der ersten Reihe der Studenten, meist
Senior oder Consenior eines der damals bestehenden Orden,
Amicisten, Constantisten und zuletzt der schwarzen
Brüder. |
To this Behufe when my
father was twelve, he was
sent to the grammar school at Coburg, after a neighbouring preacher had
somewhat prepared him. This grammar school was then
divided into two departments: the first, called the Pädagogium
comprised the first three or four classes and the second, called the
Publicum, the upper, where the already rather grown-up
pupils immitated all the bad habits of the then real universities -
childish noises, going too far in drinking bouts and
Kommerse, Landsmannschaften and secret societies etc.
There my father
soaked up the Studentengeist, which
accompanied him to Jena and Erlangen. At these universities many
dangers and annoyances alienated him from
father
intended for him. However he developed a bold manly
character and the highest liberal spirit, whereby not little spiritual
Anlagen to Hülfe came. At both universities he
was always in the first rank of the students, mostly Senior
or Consenior of one of the then existing orders, Amicisten,
Constantisten and lastly the schwarzen Brüder. |
Diesem letzteren Orden, der als ein jüngerer
Zweig der Maurerei schon unter den jüngeren Leuten auf
Universitäten die Grundsätze der reinen Humanität
anzubahnen strebte, scheint mein seliger Vater noch in den ersten
Jahren seiner Lehrerlaufbahn mit seinem intimsten Freunde und
Verleger Walther, Dr. Reil und anderen Freunden, die schon dem
bürgerlichen Leben angehörten, angehangen zu haben, bis
der Sache durch ernstliches Einschreiten des Gouvernements ein Ende
gemacht wurde. Dabei ergab sich jedoch für die Teilhaber
nichts Nachteiliges, da die guten Leute, bei Zeiten gewarnt, die
bei Buchhändler Walther in Verwahrung gewesenen
allfälligen Beweisstücke für eine geheime Verbindung
klüglich auf die Seite gebracht hatten. |
This last order, which as a junior branch of the
Maurerei = Masons?, strove to cultivate the principles of
the pure humanitarianism amongst the younger people in
universities. My late father
appears in the first years of his
teaching career to have joined up with his most intimate friend and
publisher Dr. Walther Reil and other friends, who already belonged
to the middle-class, till it was ended by the government's
intervention. Thereby arose however for the partners nothing
Nachteiliges, there the good people, by times warned, which
by book seller Walther in safekeeping been allfälligen
evidence for a secret connection cleverly on the side brought
had. |
Nicht so glücklich fielen für den Vater
seine früheren
Studentenhändel, wo er als Vorsteher der einen oder anderen
Verbindung natürlich immer vorne dran sein musste, aus. In
Jena, wo, wie auch später in Erlangen, das Duell auf Stoss
stattfand, wurde ihm der linke Arm — er focht nämlich
mit der linken Hand, deren er sich auch beim Kegel- und
Billardspiel bediente - zugleich zweimal durchstochen, ohne dass
dies Folgen für die Bewegung des Gliedes nach sich zog. In
Jena wurde er konsiliiert, wahrscheinlich infolge des
unglücklichen Duelles, in welchem ein Student, Thaudistel, die
Zierde der damaligen Studentenschaft, auf der Stelle getötet
wurde und er als Sekundant oder Zeuge anwesend gewesen sein
sollte. |
My father
was not so lucky in his earlier student
squabbles, where he as director of one or other association
naturally always had to be at the front. In Jena, where, like later
in Erlangen, the duel auf Stoss took place, his left arm -
that is he fought with the left hand, which he also used for bowls
and billiards - at the same twice pierced, without this resulted
for the movement of the limb. In Jena he was konsiliiert,
possibly as a result of the unfortunate duel, in which a student,
Thaudistel, the pride of the students, was killed on the spot and
he was present as second or witness. |
Auch mit von Kotzebue, der damals in Jena
studierte, scheint er Verdruss gehabt zu haben, da ich bemerkte,
dass er demselben, trotz seiner grossen Herzensgüte, immer
noch gram war, was wohl nicht der Fall gewesen wäre, wenn er
das unglückliche Ende des durch studentischen Fanatismus von
Sand gemordeten berühmten Mannes hätte ahnen können.
Beiläufig sei es hier erwähnt, dass wir in Erlangen den
Studenten Sand, der ein überaus tugendhafter, guter, sanfter
Jüngling war, recht gut kannten, da er dicht neben uns wohnte
und die älteren Kinder, Margarethe und Ludwig, öfters auf
die Arme nahm, wenn er sie auf der Gasse traf. Derselbe ist ein
trauriges Beispiel, wohin religiöser und politischer
Fanatismus die besten Menschen führen kann, denn Sand war auch
bei seiner Sanftheit nicht einmal persönlich mutig; seinen
besten Freund, einen gewissen Donauer, sah er beim Baden vor seinen
Augen ertrinken und hätte ihn vielleicht retten können,
wenn er beherzt zugegriffen hätte und nicht bloss in lautes
Klagen und Weinen ausgebrochen wäre. Und derselbe
Jüngling beging einen grausamen Meuchelmord an einem ihm
persönlich ganz unbekannten alten Manne, der ihm freundlich
bei seiner Anmeldung entgegengekommen war! -- weil, wie man damals
behauptete, ihn unter den drei Senioren von drei Universitäten
das Loos zu dieser schrecklichen That traf, zu welchem die
Studenten das Opfer verfehmt hatten. Kotzebue war ihrer Meinung
nach allzu sarkastisch den damaligen Freiheitsbestrebungen
und dem Studentengeiste in seinen Schriften und Berichten nach
Russland entgegengetreten. |
He also appears to have been displeased with von Kotzebue, who was then
studying in Jena.
I noticed that he, despite his great kindheartedness,
still grieved, what probably was not the case, when he
had could have foreseen
the unfortunate end of the famous man murdered by Sand due to student
fanaticism.
It should mentioned here, that in Erlangen we knew the
student Sand very well.
He was an extremely virtuous, good, gentle youth, who lived
very near us and often picked up the older children, Margarethe
and Ludwig, when he met them in the alley.
It is an sad example, of where religious and potical
fanatacism can lead the best people, since
Sand because of his gentleness was not at all personally brave;
he saw his best friend, a certain Donauer, drown near Baden
before his very eyes and perhaps he could have saved him, if he had
bravely made a grab and not just broken out in tears.
And the same youth committed a cruel
treacherous murder of an old man who he didn't know
and who was peacefully coming towards him! - since,
how one then claimed, him among the three
Senioren of three universities the Loos to this
terrible deed traf, to which the students
the victim verfehmt had.
Kotzebue was opposed to their
opinion to allzu sarcastic the then
freedom attempt and the Studentengeiste in
his writings and reports to Russia.
|
In Erlangen, von wo der gute Vater später
relegiert wurde, war es nun, wo derselbe unsere Mutter kennen
lernte, die zu jener Zeit in Pension bei dem Hofrat Sommer, einem
Stiefbruder ihrer Mutter, die eine geborene von Meyersbach gewesen
ist, sich befand. Dieser Stiefonkel war ritterschaftlicher
Konsulent des Ritterkantons Steigerwald und Chef der zu diesem
Kanton gehörigen Kanzlei, welche den Sitz in seinem eigenen
Hause am Hauptmarkte hatte. Im genannten Sommerschen Hause nun
lebte die selige Mutter, damals Fräulein von Olenhausen; ihre
Mutter hatte sie nach dem Tode des Vaters, des Geheimen Rates von
Olenhausen, zu ihrem Stiefbruder nach Erlangen in Pension zu
weiterer Ausbildung gegeben, zwei andere Töchter anderweitig
untergebracht, um ihrer Reiselust nachhängen zu können.
Ein einziger Bruder war mit einem Ostindienfahrer als Clark nach
Ostindien gefahren, von wo man aber nie etwas Bestimmtes von ihm
hörte; nur dunkle Gerüchte tauchten auf, dass er
später in Portugal gelebt habe. In diesem Hause also hatte sie
ihr Stübchen in der Ecke vom Markt und der Nebengasse, zwei
Treppen hoch, und da sahen sich der selige Vater und die Mutter,
wenn der erstere bei der sogenannten Obstbärbel, der
vornehmsten der auf dem Markte sitzenden Obsthöckerinnen,
sass, die immer einen Kreis von Studenten auf kleinen Bänkchen
um sich hatte, die Kirschen oder anderes Obst assen, und die andere
aus ihrem Fenster dem Treiben der Obstesser zusah. Die
Obstbärbel hat mir später oft erzählt, wie der
selige Vater in scharlachrotem Frack mit thalergrossen
Stahlknöpfen, grossem Federhut und Degen an der Seite, dasass
und die schmachtendsten Blicke nach dem bewussten Fenster des
Eckzimmers richtete; worauf dann abends in dem Nebengässchen
ein Briefchen an einem Faden heruntergelassen und ein anderes
dagegen vom Bruder Studio hinaufbefördert wurde. Dieser
zärtliche Verkehr sollte aber grausam unterbrochen werden, da
der selige Vater plötzlich seiner Ordenshändel wegen in
aeternum relegiert wurde. Was
nun thun? Die beiden jungen Leute gehen mit einander durch und
werden nach mancherlei Irrfahrten in einem kleinen Städtchen
im Fürstentum Hohenlohe-Künzelsau, wahrscheinlich durch
Vermittelung dortiger angesehener von Meyersbachscher Verwandten,
getraut, um den einmal eingetretenen Uebelstand nach
Möglichkeit wieder gut zu machen. Meine selige Mutter begab
sich nach Roth bei Ansbach zu einer Jugendfreundin, der damals dort
lebenden Kammerrätin Funk, und dort erblickte ich am 25.
Dezember 1783, abends 8 Uhr, das Licht der Welt, während der
Vater eine Hauslehrerstelle bei dem Hofrat Pensel in Schauberg,
Amts Lauenstein, auf dem Thüringerwalde in der Nähe
seiner Heimat annahm. |
At that time our mother was staying in Erlangen, from where
father later would be
relegiert,
and where he met our mother,
with Sommer, the privy counsellor,
a step-brother of her mother, who was born von Meyersbach.
This step-uncle was ritterschaftlicher Konsulent
of the Steigerwald Ritterkantons and head
of the chancellery of this canton, which had its
offices in his own house in the Hauptmarkte.
Our late mother, then Früulein von Olenhausen, was staying in
the said Sommer's house.
After the death of her father, the
privy counsellor von Olenhausen, her mother sent her to her
step-brother to Erlangen for her further
education - two other daughters
were accomodated elsewhere, in order to restrain? their
love of travel.
Their only brother travelled as clerk to the East Indies,
and nothing certain was heard of him again; only dark dark
rumours surfaced that he had later lived in Portugal.
In Sommer's house she had a small living room on the
corner of the market place and a side alley, on the second floor,
and there our late father
and mother saw one another.
He sat near the so-called Obstbärbel, the
most fashionable of the Obsthöckerinnen on the market
place, which always had a group of
students around it sitting on small benches, eating
cherries or other fruits.
She watched the activities the fruit eater out of her window.
Later, the Obstbärbel often told me, how my
late father
in his scarlet tailcoat with
taler-sized steel buttons, a large feather hat and
a sword at his side, sat there and looked most longingly
at the window of the corner room;
from where in the evenings
a note was lowered down on a thread into the side alley and
another sent up from the brother Studio.
This affectionate correspondence
however was cruelly interrupted, since my
late father
suddenly his Ordenshändel because
for ever was relegiert.
What to do now?
The two young people eloped and
after a wild goose chase they were married in a small town
in the princedom of Hohenlohe-Künzelsau, probably
through the intervention of the there respected von
Meyersbach relations, in order as far as possible to restore the
former eingetretenen Uebelstand
again.
My mother went to a young friend,
the Kammerrätin Funk, then living at Roth near Ansbach and
there, on the 25th December 1783, at 8 o'clock in the evening,
I was born.
Meanwhile my father
became a private tutor to the
family of the privy counsellor Pensel in Schauberg,
Amts Lauenstein, in the Thuringian Forest near his home town
|
Diese Familie, bei welcher ich später bei
meinen Ferienreisen im Thüringerwald zu den Verwandten, immer
sehr gut aufgenommen war und sehr glückliche Stunden genoss,
gewann meinen seligen Vater sehr lieb. Hofrat Pensel, der eine
Porzellanmanufaktur und besonders blühende Schmalteblaufabrik
besass, liess ihn sogar Einsicht nehmen in die Fabrikationsweise
des Schmalteblau, um künftig eine Filialfabrik in England
gründen zu können. |
This family grew fond of my
father.
They always made me very welcome, when later I spent my
holidays in the Thuringian Forest with my relations,
and I enjoyed many very happy
hours with them.
Privy counsellor Pensel, who owned a porcelain factory and
a particularly flourishing Schmalteblau factory,
even let him examine the manufacturing process of
the Schmalteblau, so that he could set up a subsidiary factory in
England.
|
Als nun nach ungefähr zwei Jahren auch der
Grossvater auf der Mühle gestorben war, verglich sich der
selige Vater mit seinen drei Brüdern und einer Schwester und
liess sich eine erkleckliche Summe als Erbteil herauszahlen, mit
welcher er in Begleitung meiner Mutter und des Söhnchens eine
Reise nach England antreten konnte, um daselbst mit
Unterstützung der Regierung das erlernte
Fabrikationsgeschäft zu begründen. Es lebte damals in
London ein Herr von Meyersbach, Bruder oder naher Vetter der
Grossmutter von Olenhausen, angesehener und wohlhabender Arzt
daselbst, der ihm alle Unterstützung angedeihen liess und
selbst im Stande war, ihm eine persönliche Audienz beim
König Georg III., der damals noch im vollen Besitze seiner
Geisteskräfte war, zu verschaffen. Leider war aber das
englische Gouvernement kurz vorher durch einen Deutschen, der in
gleicher Absicht nach England gekommen war und bedeutende
Unterstützungen erhalten hatte, auf eine schmähliche
Weise betrogen worden und da konnte
wohl nicht fehlen, dass sie dem ehrlichen Vater nicht mehr
beträchtliche Unterstützungen anvertrauen wollten. So
musste nach einem Jahre, nachdem seine Hülfsquellen aufgezehrt
waren, der arme Mann mit dem Rest nach Deutschland
zurückkehren. |
After about two years grandfather
from the mill was dead.
Father
came to an agreement with his three brothers and
his sister and received a tidy sum as his share of the inheritance.
With this he could set out on a journey to England along
my mother and their little son, in order to found a manufacturing
business with the support.
At that time there lived in London a certain von Meyersbach,
a brother or close cousin of grandmother von Olenhausen.
Von Meyersbach was a respected and prosperous doctor, who
supported father
and was in a position to get him
a personal
audience with King George III, who was then still in full possession
of his mental faculties.
Unfortunately, just before, a German had come to
England with then same intention and had received
considerable support.
He had then shamefully cheated the English government and
they could probably no longer offer the considerable support
my honest father wanted.
So after a year, when his financial resources had been eaten up,
the poor man had to return to Germany with the remnants.
|
Er hatte aber durch seinen Aufenthalt die
englische Sprache sehr gut erlernt, die ihn künftig
ernährte und die gute Erziehung einer zahlreichen Familie
möglich machte. Er hatte auch das englische Theater in seiner
höchsten Glorie gesehen, wo Garrik und Frau Siddons als erste
Sterne glänzten. |
However, during his stay he had learnt to speak English very well
and that supported him in the future and
made possible the good upbringing of a numerous family.
He had also seen the English theatre in all its glory, where
Garrick [died 1779] and Mrs Siddons shone as its greatest stars.
|
Bei seiner Rückkehr in die Heimat handelte es
sich zunächst darum, dass seine Relegation wieder aufgehoben
wurde, um sich fur die Landesuniversität Erlangen habilitieren
zu können. Er ging zu diesem Behufe nach Ansbach, wo damals
dem letzten Markgrafen der beiden Fürstentümer,
Alexander, sein allmächtiger Minister, Geheimerrat Bösch
zur Seite stand, der ein vortrefflicher und wohlwollender Mann
gewesen ist. Bei diesem stellte sich der Vater nun zunächst
vor, schilderte ihm seine bisherigen Schicksale und gewann die
volle Zuneigung des herrlichen Mannes. Er stellte ihn sogar
seinerseits in den nächsten Tagen dem Herrn Markgrafen selbst
persönlich vor, bei welcher Audienz er auch die Gunst dieses
wohlwollenden Fürsten gewann, so dass dieser keinen Anstand
nahm, die Relegation sofort aus fürstlicher
Machtvollkommenheit aufzuheben, und ihn für fähig
erklärte, sich an den Landes-Gymnasien oder der
Universität als Lehrer sein Brot zu verdienen. |
On his return home
at first it was a question of whether, since his Relegation had been
raised, the University of
Erlangen was able to award his postdoctoral qualifaction.
He went to this Behufe to Ansbach, where there the last
Margrave of the two princedoms, Alexander, had his powerful minister,
privy counsellor Bösch at his side, who was an excellent and kindly man.
Father applied to him at
first, explained his present lot and won
the complete affection of this wonderful man.
|
Der Vater zog nun zunächst nach Ipsheim im
Aischgrunde, wohin inzwischen die Kammerrat Funksche Familie
versetzt worden war. Zuerst wurde er als Kollaborator beim
Gymnasium zu Neustadt an der Aisch und bald darauf in gleicher
Eigenschaft beim Gymnasium zu Erlangen als Lehrer der Geschichte
und Geographie mit vierzig Gulden (!) Gehalt angestellt. Hier hatte
nun aber der Vater durch Privatstunden in der englischen Sprache
gute Gelegenheit, sein Brot zu verdienen, da der eigentliche Lektor
dieser Sprache, ein Magister Fallet, wenig zu leisten im Stande
war. |
|
Auch die selige Mutter, die ausnehmend
wissenschaftlich gebildet war, half beim Broterwerb durch
englischen und französischen Unterricht, den sie jungen
vornehmen Damen in der Stadt erteilte, bis ihr solches durch die
zunehmende Familie nicht mehr möglich war. Bei dieser
Gelegenheit muss ich noch erwähnen, dass diese Frau bei den
sonstigen ausgezeichneten Eigenschaften an Bildung, Herz und Kopf,
leider sich im Zorne nicht zu mässigen wusste, was sie noch
mit manchen Töchtern Evas, wenn auch nicht in solchem Grade,
gemein hatte, so dass auf viele Individuen des weiblichen
Geschlechtes die Schilderung Goethes von den Titanen anwendbar ist:
Rat, Weisheit, Mässigung und Geduld
Verbirgt die Natur ihrem scheuen Blick !
Zur Wut wird in ihnen jegliche Begier,
Grenzenlos schweift ihre Wut umher !
|
|
Durch solche Zornausbrüche, die an
Berserkerwut grenzten und sie alles zerstören liessen, was ihr
in die Hände geriet, hat sie ihrem Mann, sowie auch mir und
meinen Geschwistern manche frohe Jugendstunde verbittert. Doch sei
ihr die Erde leicht! Sie hatte das grosse Verdienst, dass sie es
durch ausnehmende Sparsamkeit dem guten Vater möglich machte,
seinen Kindern eine gute Erziehung zu geben. |
|
Aber leider ist das fatale laute Denken ein sehr
häufiges Erbteil der Evastöchter, welches ihnen, sowie
auch uns Männern zu einer Quelle vielen Ungemachs wird. Sie
beherzigen sehr selten das gold'ne Sprüchlein Luthers in
dessen Tischreden:
Es gibt auf Erden keine edlere List,
Denn wer seiner Zunge ein Meister ist.
Viel wissen und wenig sagen,
Nicht immer nach allem fragen.
Sprich wenig und mach's wahr,
Was du borgst, bezahle bar.
Und lass einen Jeden sein, wer er ist,
So bleibst auch du wohl, wer du bist.
|
|
Nach einiger Zeit, nachdem der englische Lektor
gestorben war, wurde der selige Vater als Lektor der englischen
Sprache, zuerst ohne Gehalt, neben seiner Stelle am Gymnasium
bestellt, und da er dabei sehr viel Schriften aus dem Englischen
ins Deutsche übersetzte, die ihm sein Freund, Buchhändler
Walther, verlegte, so fing es an ihm etwas besser zu gehen.
Allerdings wurde zu jener Zeit der Druckbogen in der Regel nur mit
fünf bis sechs Gulden bezahlt! Von seinen vielen
Uebersetzungen, die allein schon ein kleine Bibliothek zu bilden im
stande sind, erwähne ich u. a. nur den bändereichen
British Plutarch, des grossen Menschenfreundes Howard Reisen durch
die Gefängnisse von Europa und Asien; Bruce: die Reisen zur
Entdeckung der Quellen des Nilstromes; Playfairs damals
berühmte Schriften, den Spectator u. s. w. Sein Fleiss, seine
Thatkraft und Energie waren einzig in ihrer Art. Wenn er des Tages
über durch seinen Unterricht im Gymnasium und durch
Privatstunden sich totmüde gearbeitet hatte, war er im Stande,
bis ein und zwei Uhr nachts aufzubleiben und an seinen
Uebersetzungen zu schreiben. Auch hat u. a. der selige Vater ein
sehr nützliches und interessantes Büchlein geschrieben:
«Der treue Führer auf der akademischen Laufbahn»,
worin er sehr schöne Verhaltungsmassrcgeln für
Studierende aus dem reichen Schatze seiner Erfahrungen niedergelegt
hat, welches Büchlein zu jener Zeit viel Interesse erweckt und
gewiss Nutzen gestiftet hat. |
|
Durch diese Arbeiten wurde er aber in den Stand
gesetzt, die beste englische Grammatik und das beste Lehrbuch der
damaligen Zeit, nach Meidingers Methode der französischen
Grammatik, herauszugeben, die zweiundzwanzig oder dreiundzwanzig
Auflagen, und zwar zum Vorteil des Buchhändlers allzureiche
von zweitausend bis dreitausend Exemplaren, erlebten. Selbst nach
dem Tode des Vaters erschienen noch weitere Auflagen, wofür
Herr Buchhändler Enke, auf den der Walthersche Verlag
übergegangen war, uns Kindern das Honorar zu gleichen Teilen
mehrere Male redlich übersendet hat. Auch ein
vollständiges englisches Wörterbuch hat er herausgegeben,
welches eine kolossale Arbeit war und frühere
Wörterbücher mit Wörtern aus den vielseitigsten
Wissenschaften und technischen Kunstausdrücken bereichert
hat. |
|
Eine ganz originelle Schrift hat er herausgegeben,
welche
früher noch nicht vorhanden war: «Taschenkalender
für Reisende durch Deutschland», [Dieses Werkchen, ein
im Jahre 1796 erschienener Vorläufer der heutigen Baedeker,
Murray, Tschudi ete., enthält wirklich manches Interessante,
so dass es schade ist, dass der Mangel an Raum nicht gestattet, es
seiner Originalität wegen vollständig in diesen
Erinnerungen aufzunehmen. Einige Auszüge daraus, sowie aus dem
vorher erwähnten «treuen Führer auf der
akademischen Laufbahn» (Erlangen, bei Joh. Jak. Palm, 1797),
dürften jedoch gewiss willkommen sein und so will ich diese am
Schlusse dieses Abschnittes folgen lassen.] worin alles, was einem
Reisenden, besonders einem Fussreisenden interessant sein konnte,
enthalten war: Verhaltungsmassregeln, Geldverhältnisse,
Reiserouten und Entfernungen und hauptsächlich ein
alphabetisches Verzeichnis der bemerkenswerten Ortschaften und
Städte, mit deren kurzer Beschreibung an Einwohnerzahl,
Merkwürdigkeiten, besten Gasthöfen u. s. w. ; und alles
dies im bequemsten Taschenformat, so dass auch der Fussreisende,
solches bequem mit sich führen konnte. |
|
Dieses Büchlein hat auch achtzehn sehr
zahlreiche Auflagen, bis zu dreitausend Exemplaren, erlebt, gewiss
ein starker Beweis von dem damaligen Zeitbedürfnisse.
Später wurde der «Taschenkalender» besonders von
Reichard in ausführlicher Weise nachgeahmt. |
|
Auch eine sehr gute Erdbeschreibung hat der selige
Vater in einem starken Oktavband geliefert, die zu jener Zeit, als
gedrängt und vollständig, sehr beliebt gewesen ist und
mehrere Auflagen erlebt hat. |
|
Die Lage des geplagten Mannes verbesserte sich
noch wesentlich, als die Redaktion der zu jener Zeit in ganz
Deutschland berühmtesten «Erlanger Realzeitung»
hinzukam, wofür sechshundert Gulden jährlich bezahlt
wurde. Diese Zeitung, eine der ersten, welche wöchentlich
mehrmals erschien, war vor dem siebenjährigen Kriege durch
einen Justizrat Gross in Erlangen gegründet worden. Sie hatte
ein Privilegium von Kaiser und Reich und auch in Preussen zu
Gunsten der Realschule in Berlin, weshalb die Grosssche Familie in
einen Prozess mit gedachter Anstalt (an die näheren
Umstände erinnere ich mich nicht mehr) verwickelt wurde und
vierzigtausend
Gulden dabei einbüsste. Der damalige Chef der Familie, Hofrat
Gross, stürzte um die Zeit dieses verlorenen Prozesses Mittags
elf Uhr aus dem Fenster der Beletage seines schönen grossen
Hauses, am Marktplatze und der Hauptstrasse gelegen, dem
früher erwähnten Hause meines Stiefgrossonkels, Hofrat
Sommer, gerade gegenüber. Ich habe, aus dem Gymnasium nach
Hause gehend, ihn herabfallen sehen; da er ein kurzer dicker Mann
war, blieb er auf der Stelle tot auf dem Steinpflaster. Es hiess
nun damals allgemein, er habe sich aus Melancholie über den
verlorenen Prozess selbst den Tod gegeben; allein ich glaube es
nicht, da diese mit der Zeit sehr reich gewordene Familie wegen
vierzigtausend Gulden Verlust noch keineswegs in Verlegenheit
kommen konnte. |
|
Aber eine andere Verdriesslichkeit soll Hofrat
Gross wegen seiner Zeitung gehabt haben. Er hatte nämlich im
siebenjährigen Kriege über Friedrich den Grossen bitter
und witzig gespöttelt, dass dieser, dem Vernehmen nach, damals
bei der Einnahme von Bamberg die zwölf silbernen Apostel aus
einer Kirche nehmen und Geld daraus schlagen liess, mit der
scherzhaften Aeusserung: «Gehet hin in alle Welt und lehret
alle Völker.» Die Mönche hatten aus Besorgnis eines
solchen Spoliums vorsorglich die silbernen Apostel mit schwarzer
Oelfarbe angestrichen gehabt, was aber den Preussen verraten
gewesen sein muss. Seit jener Zeit wurden die Bamberger deshalb
Herrgottschwärzer genannt, über welches Wort man in
Bamberg schöne Schläge bekommen konnte. König
Friedrich soll aber dem Zeitungsschreiber seine boshaften Witze
über den Vorfall mit den Aposteln so sehr übel
aufgenommen haben, dass nach der damaligen Sage entweder er selbst
oder einer seiner höheren Offiziere einen Lieutnant mit
fünfundzwanzig Husaren nach Erlangen gesendet haben soll, um
dem Zeitungsschreiber fünfundzwanzig ad posteriora
aufzuzählen. Wahrscheinlich blieb es aber bei der blossen
Drohung; indessen soll der Hofrat Gross eine Quittung über den
richtigen Empfang haben ausstellen müssen, worauf dann der
Offizier mit seinen Leuten eiligst wieder davon geritten sei, ehe
die Geschichte in der Stadt mehr ruchbar wurde. |
|
Nach dem später erfolgten unglücklichen Tode des Hof
rates Gross berief die Familie den damals sehr berühmten
Geographen Professor Fabri in Halle, als Redaktor der gedachten
Zeitung nach Erlangen. Allein unter dessen Redaktion sank die
Abonnentenzahl bis auf sechstausend herab, da er bei aller seiner
Gelehrsamkeit als Geograph nicht den blühenden Stil hatte, der
zur Redaktion eines solchen Blattes mit Originalleitartikeln
unerlässlich scheint. Er gab daher das Geschäft selbst
auf und begnügte sich mit der Professur für Geographie
und Statistik an der Universität und lenkte die Wahl seines
Nachfolgers seitens der Familie Gross auf den seligen Vater, seinen
intimen geliebten Freund, der ihm besser als er selbst dafür
geeignet schien. Und wirklich rechtfertigte der Erfolg seine
Ansicht auf das vollkorhmenste, indem es dem Vater gelang, der
Zeitung den alten Ruf in Deutschland wieder zu verschaffen und
schon in ein paar Jahren die Abonnentenzahl auf achtzehntausend zu
bringen, wie in der blühendsten Periode der Zeitung. Die
Familie Gross bezeigte sich auch ausser dem Gehalte von
sechshundert Gulden durch Geschenke dankbar und würde es noch
mehr gewesen sein, wenn mit der seligen Mutter ein besseres
freundschaftliches Verhältnis stattgefunden hätte, was
bei deren zornigem Gemüte nicht möglich war. |
|
Leider aber hat dem guten Vater seine
Zeitungsredaktion eine grosse Kalamität zugezogen. Als
nämlich die, inzwischen durch die 1792 geschehene Abtretung
des kinderlosen Markgrafen Alexander an die Krone Preussens gegen
eine Leibrente von sechshunderttausend Thalern gekommenen,
fränkischen Fürstentümer ganz gegen alles
Völkerrecht zum Teil von Franzosen besetzt wurden,
nämlich das Fürstentum Ansbach, als Vorbereitung zur
Schlacht von Jena, ergrimmte der Vater in hohem Grade gegen die
Franzosen. Von seiner Vorliebe und Achtung für dieselben, als
wollten sie den unterdrückten Völkern Freiheit und
Wohlstand bringen, war er schon früher radikal geheilt. In
seiner Zeitung, die im damals noch neutralen Fürstentum
Baireuth herauskam, liess er sich in den bittersten Bemerkungen
über die an Preussen begangene grosse Ungerechtigkeit aus.
Dies ging nun mehrere Monate
ganz gut und die mitunter witzigen und sarkastischen Bemerkungen
uber das Benehmen der Menschenbeglücker und Befreier machten
den Lesern der Zeitung vielen Spass. Allein als Marschall Davoust
beim Ausbruche des Krieges mit Preussen im Herbste 1806 gegen das
Fürstentum Baireuth, gegen Saalfeld vorruckte, wo das erste
blutige Vorpostengefecht stattfand, bei welchem der in ganz
Preussen überaus beliebte Prinz Louis Ferdinand das Leben
verlor, liess er vor seinem Abgange aus Ansbach die Aeasserung
fallen: « Gut, dass wir durch Erlangen kommen, da wollen wir
dem von England bezahlten Gazettier seinen englischen Sold
anstreichen u. s. w.». Er liess sich nämlich nicht
ausreden, dass der Vater als Lehrer der englischen Sprache auch
seine Feder den Engländern verkauft haben müsse. |
|
Es waren aber in Davousts Umgebung doch noch
rechtschaffene Männer, die nicht wünschten, dass sich ihr
grausamer Chef zu einer Gewaltthat hinreissen lassen möge und
der selige Vater erhielt daher zwei Tage vor dem wirklichen
Einrücken der Franzosen durch Erlangen an einem Tage drei
anonyme Warnungen vor dem ihm drohenden Schicksale, so dass ihm
nichts übrig blieb, als sich zu Fuss über Streitberg,
Baireuth zur preussischen Armee zu begeben, wobei ich ihm noch bis
Streitberg das Geleit gab. Er hatte in derselben einen sehr guten
Freund, den Obrist von Schauroth, von dem zu Neustadt an der Aisch
liegenden königlich preussischen Husarenregiment. Ausserdem
war er auch dem Prinzen Solms, dem Schwager des Königs von
Preussen, befreundet und von dem General Grafen Tauenzien, der
früher in den preussisch gewordenen fränkischen
Fürstentümern kommandiert hatte, hoch
geschätzt. |
|
Diese und noch mehrere Freunde in der preussischen
Armee beabsichtigten nun, den seligen Vater mit der Armee ziehen
und durch ihn ein Armee-Zeitungsblatt, gleichsam eine Art
fortlaufendes Kriegs- und Sieges-Bulletin, schreiben zu lassen. Der
Obrist von Schauroth, der beim Treffen von Saalfeld einer der
ersten ziemlich schwer Verwundeten wurde, nahm ihn ganz zu sich in
sein Zelt und sorgte wie ein Bruder für seine reichliche
Verpflegung. |
|
Allein die bald darauf folgenden
unglücklichen Schlachten von Jena und Auerstädt machten
die Träume von einer glorreichen Armeezeitung zu nichte und
der Vater war genötigt, mit den fliehenden Trümmern der
preussischen Armee nach Preussen zu flüchten, durch Berlin
ostwärts nach Königsberg, wobei aber immer die Freunde
von Schauroth und Prinz Solms freundlich für ihn sorgten. In
Königsberg übermannte ihn die Sehnsucht nach Heimat und
Familie. Der dortige reiche Kaufmann und grosse Schiffsrheder
Abegg, dem er durch seinen Bruder, reformierten Prediger in
Erlangen, intimen Freund des Vaters und dessen Schüler in der
englischen Sprache, dringend empfohlen war, versah ihn daher mit
Reiseausstattung, Pelzwerk und Geldmitteln, damit er sich in Memel
auf einem nach Hamburg gehenden Schiffe einschiffen konnte, von wo
er sich dann hinter der siegreichen französischen Armee wieder
in die Heimat durchzuschleichen dachte. Allein das Schiff erlitt in
der stürmischen Ostsee eine bedeutende Havarie und musste
daher in die Felsenklippe Christians-Öe neben der Insel
Bornholm einlaufen, wo sich bloss eine dänische Besatzung von
vierhundert Mann ohne weitere Einwohner befand. Hier nahmen sich
aber der edle Kommandeur Kohl und der Lehrer Homsen seiner aufs
wärmste an und suchten ihm seinen mehrwöchentlichen
unfreiwilligen Aufenthalt auf diesem Felsenneste möglichst
angenehm zu machen, wobei er auch erschütternde Scenen des
Scheiterns anderer Schiffe mitanzusehen bekam. Zurück reiste
er dann, ich glaube, über Kiel oder Rostock und es ist mir
ewig unvergesslich, wie eines Morgens in der Dämmerung an
meinen Laden geklopft wurde - ich wohnte damals zu ebener Erde im
Wiesnerschen Hause an der Hauptstrasse — , ich den Laden
aufstosse und einen in eine graue Wolfswildschur gehüllten
Mann vor mir sehe, der sich als mein Vater zu erkennen gab.
Sogleich zog ich ihn zum Fenster herein, was durch die dort an den
Häusern befindlichen kleinen Sitzbänke leicht
möglich war. Seine erste Frage war, ob er mit Sicherheit
wieder in Erlangen leben könne? welche Frage ich ihm ohne
Bedenken bejahen konnte. Ich war inzwischen mit dem vom Kaiser
Napoleon für die fränkischen Fürstentümer
eingesetzten General-Intendanten, Grafen von Tournon, sehr gut
bekannt geworden und hatte öfters Gelegenheit, mit ihm von dem
traurigen Schicksale meines Vaters zu sprechen; dabei erhielt ich
von ihm die beruhigendsten Versicherungen seines kräftigen
Schutzes, die auch von dem Militär-Gouverneur, General
Legrand, auf Verwendung des ersteren, erteilt wurden. |
|
Graf Tournon, der sich besonders die Verbesserung
der Strassen sehr angelegen sein liess, bereiste die Provinzen sehr
fleissig und ich hatte deshalb bald Gelegenheit, ihm den seligen
Vater vorzustellen, der ihm sehr wohl gefiel und auch seine
Zuneigung behielt, so lange er den Fürstentümern
vorstand. Er sagte ihm auch, er möge seine Zeitung nur
fortsetzen; natürlich dürfe nichts gesagt werden, was der
Gloire der grossen Armee entgegen sei u. s. w. Wer nun in der
mehrmonatlichen Abwesenheit des Vaters die Redaktion der Zeitung
fortgeführt hatte, erinnere ich mich nicht mehr genau. Aber
nach kürzerer Zeit übernahm der Vater die Redaktion
wieder und führte sie in einer Weise, die seine Freunde
befriedigte und auch den Franzosen keinen Anstoss mehr gab. |
|
Somit war nun das Unheil, in welches ihn seine
glühende Verehrung und sein Enthusiasmus für den
preussischen Staat gestürzt hatte, für ihn ohne weitere
Nachteile vorübergegangen und auch die Kosten seiner Reise
brachte er durch Beschreibung derselben so ziemlich wieder ein.
Diese, unter dem Titel «Meine neueste Reise zu Wasser und zu
Land», erlangte durch die Hülfe seiner vielen Freunde,
die zum Teil in Erlangen studiert oder seine Zeitung mit grossem
Anteil gelesen hatten, zahlreiche Subskribenten in ganz
Deutschland. Es zeigte sich dabei auch in den entferntesten
Gegenden des deutschen Vaterlandes, wie beliebt und geachtet der
Mann damals in ganz Deutschland war. |
|
Nun will ich wieder auf die mir noch erinnerlichen
Erlebnisse der früheren Jugend mit meinem guten Vater
zurückkommen. Da ist mir noch in recht frischem Andenken die
erste grössere Fussreise, die ich mit ihm nach seiner Heimat,
als er mich genug erstarkt erachtete, um diese Entfernung mit ihm
ablaufen zu können, etwa gegen Ende der
achtziger Jahre machte, Sie ging nach Sattelgrund, eine
Viertelstunde unter dem Sattelpass, der Höhe des
Thüringerwaldes, wo er in der Mühle im Jahre 1763 geboren
war. |
|
Als wir die fürchterliche Höhe von
Neuenbau in das enge Thälchen, wo die Mühle liegt,
hineinstiegen, sahen wir eine kleine alte Frau an dem unteren
Forellenbach bei der Mühle, wo der bedeutungsvolle
Forellenfang damals stattgefunden hatte, Wäsche auswaschen.
Der Vater eilte auf sie zu und nahm sie in seine Arme; als sie ihn
aber erkannte, wurde sie ohnmächtig und erholte sich nicht
eher wieder, als bis sie ihrer übergrossen Freude durch lautes
Schluchzen und Weinen Erleichterung verschaffen konnte. Auch die
inzwischen herbeigekommenen Geschwister weinten laut vor Freude,
wie solches einfachen Naturmenschen eigen ist; ich konnte dies aber
damals gar nicht begreifen, sondern rief immer nur aus:
«Grossmutter, hast Du denn keine Freude über uns? Warum
weint Ihr denn?» Es wurde darauf in der Mühle
möglichst bald für einen köstlichen Eierpfannkuchen
gesorgt, dort Striezel genannt, und die Scene löste sich in
grosse Heiterkeit und Erzählen der wechselseitigen Erlebnisse
auf. Tags darauf wurde uns zu Ehren der Forellenteich über der
Mühle abgelassen, wobei ich bis an den Bauch im Teichschlamm
herumwatete und die trocken gelegten Fische, mit weniger Aufwand
von Witz, wie seinerzeit der selige Vater, herausfing und in die
bereit gehaltenen Wasserbehälter schleppte und mich
königlich dabei ergötzte. Später bin ich jedesmal in
den Ferien, selbst zuweilen in den Weihnachtsferien bei
fürchterlicher Kälte, au eigene Faust in den
Thüringerwald gelaufen, wo dann jedesmal mir zur grossen
Freude dieses Vergnügen wiederholt wurde. Meine Oheime, die
zum Teil auch noch Jünglinge waren, machten dann mit mir die
interessantesten Exkursionen in die romantische Nachbarschaft. |
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Mittlerweile war auch unsere Grossmutter,
verwitwete Geheimerätin von Olenhausen, nach Erlangen gezogen,
um daselbst von den Resten ihres Vermögens, welche ihr nach
dem Tode des Grossvaters von ihrer Reiselust übrig geblieben
waren, ihre alten Tage vollends hinzubringen. Sie starb zwar
in hohem Alter, aber leider doch ein halbes Jahr zu früh, um
die Geburt meiner ältesten Tochter Margarethe zu erleben,
wodurch sie noch die Freude hätte erleben können,
Urgrossmutter zu werden. Sie war eine schöne alte, sehr
gebildete Frau, hinkte aber infolge eines sogenannten Schwindens am
Bein ziemlich stark und musste sich daher beim Gehen eines kurzen
Stockes bedienen. Den seligen Vater, ihren Schwiegersohn, hatte sie
lieb, da sein stupender Fleiss, wodurch er seine heranwachsende
Familie anständig erhielt und gut erzog, ihr volle Achtung
abnötigte. Sie hatte auch ihre Enkel, besonders mich recht
lieb und sah uns gern bei sich. Nur mit ihrer Tochter, unserer
seligen Mutter, stand sie nicht gut und sie sahen sich sehr selten,
was aber wohl meist durch die hitzige Gemütsart der letzteren
zu erklären sein wird. |
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Früher habe ich einmal erwähnt, dass der
selige Vater von seinem französischen Freiheits- und
Aufklärungsdrange radikal kuriert gewesen sei, und muss daher,
ehe ich weiter gehe, noch eine interessante Episode aus seinem
vielbewegten Leben einschalten. |
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Als im Feldzuge 1794 die französische
Sansculottenbande aus Frankreich über den Rhein in Deutschland
einbrach, sah man sehr bald, dass diese Freiheiter und
Aufklärer meist nichts als eine ganz gemeine Räuberbande
waren, die ihr Motto: «Krieg den Palästen, Friede den
Hütten!» bloss im ersten Teile wahr machen wollten und
zwar mit unersättlicher Raubgier, den zweiten Teil aber
keineswegs, indem sie auch die Hütten der Armen
zerstörten und beraubten. Daher flüchtete sich, wer zu
flüchten im Stande war. Nun lebte damals zu Adelsdorf im
Aischgrunde ein sehr braver Reichsfreiherr von Bibra, dessen Sohn
in Erlangen studierte und daher mit dem seligen Vater näher
bekannt und befreundet war, nebst seinem Beamten, Amtmann
Schnürer, der ein Universitätsfreund des seligen Vaters
war. Diese beiden Männer hatten nun eine tödliche Furcht,
als sich der Kriegsschauplatz immer näher heranzog, kamen
daher nach Erlangen und baten den seligen Vater inständigst,
nach Adelsdorf auf ihren Rittersitz auf einige Tage hinaus zu
ziehen, um ihnen, als näher befreundet
mit dem Geiste der Zeit, nach Möglichkeit beizustehen, bis das
schnell ziehende Kriegsgewitter vorübergebraust wäre. Der
gute Mann liess sich auch wirklich verleiten, dahin zu gehen. Er
wurde aber bald gewahr, dass mit dieser Rotte durch
vernünftige Vorstellungen durchaus nichts auszurichten war,
sondern dass sie es bloss auf gemeine, grausame Plünderung
abgesehen hatten, so dass selbst sein eigenes Leben in die
augenscheinlichste Gefahr gesetzt war. Denn die Bestien schossen
sogar durch das Fenster nach ihm, so dass er sich zuletzt in einen
festgewölbten guten Keller flüchten musste. Aber auch
hier verfolgte ihn die Kriegsfurie, indem im Schlosshofe eine
Haubitze zersprang und ein Stück davon in den Keller
flog. |
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Er fasste nun im Mut der Verzweiflung den
Entschluss, sich zu dem gerade oben im Schlosse befindlichen
General Kleber zu begeben, ihm seine Lage zu schildern, wie er
bloss durch Zufall eines Besuches hieher gekommen sei u. s. w., und
bat ihn um einen salvum conductum in seine neutrale Heimatstadt
(Preussen hatte damals bereits den Separatfrieden zu Basel mit der
französischen Republik abgeschlossen). Allein General Kleber
hörte ihn nicht weiter an, sondern sagte ihm nur mit grimmiger
Geberde: «Allez-vous en!» |
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Es dünkte daher dem Vater kein anderer Ausweg
zu seiner Lebensrettung übrig, als eine nächtliche Flucht
durch die bis in die Nähe von Erlangen sich hinziehende
Markwaldung, wobei ihm seine Terrainkunde auf den mit mir gemachten
Spaziergängen sehr zu statten kam. Das kühne
Wagestück gelang auch und am andern Morgen kam der gute Vater,
leichenblass, ausgehungert zu uns in die Stube, wo wir alle in
tiefster Betrübnis sassen. Wir waren durch die alle Strassen
erfüllenden daliegenden Landleute mit Weibern, Greisen und
Kindern aus dem ganzen Aischgrunde in die höchste Angst
versetzt worden. Sein erster Ausruf, nachdem er zu Atem gekommen
war, lautete: «Kinder! ich bin radikal kuriert!» |
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Nachdem der selige Vater zum Lektor der englischen
Sprache ernannt war und seine Vierzigguldenstelle am Gymnasium
aufgegeben hatte, liess er sich zum Doktor der Philosophie kreieren
und habilitierte sich ordentlich durch eine förmliche
Disputation als Privatdozent der Geographie und Statistik bei der
Universität. Diese Disputation, bei der der berühmte
Geograph Fabri respondierte, ging sehr gut von statten; dessen
Erscheinung im schwarzen Frack mit kurzen seidenen Beinkleidern und
eben solchen Strümpfen war mir als zwölfjährigen
Knaben ganz neu und sehr interessant. Die Habilitation als
Privatdozent bahnte meinem Vater den Weg zur ausserordentlichen
Professur mit sechshundert Gulden Gehalt, aber leider sehr
spät, erst wenige Jahre vor seinem Tode. |
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Auch übernahm er wenige Jahre darauf die
öffentliche unentgeltliche Vorlesung des sogenannten
Zeitungskollegiums im akademischen Hörsaal, wozu ihn seine
Redaktion der berühmten Erlanger Realzeitung besonders
befähigte und ihm reiches Material lieferte. Dieses Kollegium,
welches Sonnabends von elf bis zwölf Uhr gelesen wurde, wurde
bis dahin von dem damals sehr berühmten Geschichtsforscher und
Litterarhistoriker Hofrat Meusel (in welch letzterer Beziehung ich
bloss an das berühmte gftisse Werk «Meusels gelehrtes
Deutschland» zu erinnern brauche) vorgetragen. Dasselbe wurde
ihm jedoch durch einen grossen Verdruss mit den Studenten
verleidet. Es hatten sich nemlich damals in einer am Rhein
vorgefallenen Schlacht mit den französischen
Freiheitsraubhorden die schwäbischen Reichskontingente,
Württemberger und Badenser, sehr feig benommen und dadurch den
Verlust der Schlacht herbeigeführt. Der würdige Meusel,
hierüber aufs tiefste betrübt, fing nun am nächsten
Sonnabend sein Zeitungskollegium mit dem Ausrufe an:
Schofel, schlecht und liederlich
Hielten uns're Schwaben sich !
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Da nun viele Schwaben in Erlangen studierten und
in dieser famosen Vorlesung gerade zahlreich anwesend waren, so
erhoben diese einen Mordsspektakel, die Vorlesung musste
geschlossen werden und Meusel war nie mehr im Stande, sich die
Liebe der Schwaben zu erwerben. Der selige
Vater aber, dem Meusel nach einiger Zeit das Zeitungskollegium ganz
abtrat, las dasselbe, so lange er noch bei Kräften war, mit
dem grössten einstimmigen Beifall fort. Der akademische
Hörsaal konnte oft nicht alle Zuhörer fassen, da nicht
nur Studenten, sondern auch Lehrer und selbst auch gebildete
Landleute aus der Nachbarschaft herbeiströmten. Hierbei setzte
er also die Anfänge zweier grosser Gelehrten, Fabri und
Meusel, höchst ehrenvoll fort. |
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Eine sehr angenehme Episode im Leben des seligen
Vaters bildete auch seine Freundschaft mit dem grossen Alexander
von Humboldt, der damals königlich preussischer Berghauptmann
im Fürstentum Baireuth war. Um sich auf seine grossen Reisen
ernstlich vorzubereiten, war er auf ein halbes Jahr nach Erlangen
gekommen, zur Benutzung der dasigen wissenschaftlichen
Schätze, besonders aber um mit dem seligen Vater recht
fleissig Englisch zu treiben. Beide, damals noch sehr junge
Männer, gewannen sich recht lieb und dieser Umgang mit
Humboldt gehörte zu den Lieblingserinnerungen des seligen
Vaters. |
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Wie dieser treffliche Mann alle Eindrücke mit
Wärme auffasste, davon gab er auch ein Beispiel bei einem
Vorgange, der auf meine künftige Lebensstellung und
wahrscheinlich auch auf meine dermalige Lage in Kassel nicht ohne
wesentlichen Einfluss geblieben ist. |
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Der selige Vater ging mit mir und dem damaligen
Adjunkt der philosophischen Fakultät, nachmaligen Professor
der Staatswissenschaften zu Marburg (durch meine Empfehlung bei dem
einflussreichen Ministerialvorstande Kraft), Lips, spazieren, nach
Oberndorf, eine Stunde von Erlangen, um dem Bruder des Letzteren
einen Besuch zu machen, der zu jener Zeit freiherrlich von
Egloffstein'scher Beamter war. Als wir, uns unterhaltend, auf
Bauhölzern im Schlosshofe dasassen, fiel unter Anderem das
Gespräch auf die grossen Schäden, die das Gut durch die
Fluten und Eisgänge des Winters erlitten, besonders noch
vergrössert durch die fortlaufende Reihe der Altwasser (alter,
verlassener Flussbetten). Dies veranlasste mich zu der Aeusserung,
dass diese lange Reihe
stehender kleiner Seen vielleicht bestimmt sein könnte, noch
recht nutzbar gemacht zu werden, wenn dereinst der grosse Gedanke
Karls des Grossen, einer Verbindung des Rheines mit der Donau
mittelst der Retzat und Altmühl, wieder aufgegriffen und zur
Ausführung gebracht werde. Mit einem bedeutenden Heere habe er
schon viel daran gearbeitet, sei jedoch durch eine in Pannonien
ausgebrochene Empörung und Krieg dabei unterbrochen worden.
Bei meinen Reisen als Forstgeometer in den Fürstentümern
Ansbach und Eichstädt hatte ich deutliche Spuren dieser
Arbeiten der Wasserscheide zwischen Altmühl und Retzat in der
Gegend der Stadt Weissenburg und nahe an dem Dorfe Graben, welches
wahrscheinlich von diesen Arbeiten den Namen hat, in Erfahrung
gebracht. Lips griff diesen Gedanken eines Donaukanals mit vieler
Wärme auf und gab mehreres Geschichtliche von diesen grossen
Gedanken Karls des Grossen, der nun seit acht bis neun
Jahrhunderten wieder eingeschlafen war, zum besten. |
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Der selige Vater, immer mehr von diesem Gedanken
durchdrungen, rief endlich mit grösster Lebhaftigkeit aus:
«Hört einmal! Ihr beiden müsst darüber etwas
schreiben, um diesen Gedanken Karls des Grossen dem
gegenwärtigen Zeitalter wieder zu erwecken!» |
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So entstand das Schriftchen: «Der Kanal in
Franken», in welchem Lips den geschichtlichen und
staatswirtschaftlichen Teil und ich, damaliger Kreisbaukonduktor in
Erlangen, den technischen Teil mit einem Kärtehen bearbeitete,
welches Schriftchen der königlich preussichen Regierung und
dem Kurfürsten Maximilian Joseph von Baiern übersendet
wurde. |
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Besonders von diesem letzteren Fürsten wurde
das Schriftchen mit ausnehmendem Anteil aufgenommen. Er fand sich
bewogen, den beiden Verfassern, die damals noch nicht in seinen
Diensten waren, sehr huldvoll zu danken und Jeden mit der grossen
goldenen akademischen Medaille (25 Dukaten schwer, mit der
Aufschrift: Bene merentibus! und auf dem Averse mit dem Brustbilde
des Kurfürsten geziert) zu beglücken. Das Schriftehen
machte auch überhaupt in Baiern viel Aufsehen
und hat gewiss mit dazu beigetragen, dass ich, nachdem im Jahre
1810 die preussisch-fränkischen Fürstentümer an die
inzwischen Königskrone gewordene Krone Baiern
übergegangen waren, den glücklichen Fortschritt zum
königlich bairischen Wasser- und Strassenbau-Inspektor in
Erlangen errang. |
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Hierdurch nun und durch die sonstigen Leistungen
in meinem Amte und meine Aufsätze in dem zu Erlangen
herausgekommenen, von Professor Harl redigierten «Allgemeinen
Kameral-Korrespondenten», in der «Hartlebenschen
Polizeifama» u. s. w. erlangte ich in Baiern einen
bedeutenden Ruf als brauchbarer thätiger Mann. Im Jahre 1818
beauftragte der Kurfürst von Hessen, Wilhelm I.,
königliche Hoheit, seinen Gesandten in München einen
königlich bairischen Strassenbaubeamten zur Anstellung
für die Oberaufsicht des Strassenbauwesens in Kurhessen und
dessen besserer Reorganisation vorzuschlagen. Der Gesandte, nachdem
er durch die allgemeine Stimme auf mich aufmerksam geworden war,
wandte sich wegen Begutachtung meiner näheren Qualifikation an
die dortigen Behörden. Er schlug mich primo loco zu dieser
Stelle vor, nachdem er sich vorher auch noch an meinen Vater
gewandt hatte, dem er durch sein Studium in Erlangen sehr
befreundet geworden war, um mich wegen meiner Bereitwilligkeit zur
Uebernahme einer solchen Stelle befragen zu lassen, die ich
natürlich sehr erfreut zusicherte. |
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So wurde ich denn mit achtzehnhundert Gulden
Gehalt und vierhundert Gulden Reisekosten nach Kurhessen berufen,
wo ich auch am 4. Juni 1818 eintraf. Ich kann also in Wahrheit
sagen, dass der Anteil des seligen Vaters an allen grösseren
Gedanken hierbei eine Hauptanregung abgegeben hat, dass ich in eine
höhere Laufbahn kam. |
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Die weiteren Schicksale des seligen Vaters
verflossen in besserer Lage, als Professor, zuletzt mit
sechshundert Gulden Gehalt und unter fortgesetztem stupendem
Fleiss. |
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Aus dem Taschenkalender für Reisende durch
Deutschland.
Frankfurt a. M., Haupt- und Residenzstadt des Grossherzogs von
Frankfurt, hat 3000 Häuser, mit den Juden 43,000 Einwohner,
von Amberg 39½, von Bamberg 24½, von Basel 41 Meilen
u. s. w. Der Mayn theilt die Stadt in zwey Theile, in Frankfurt und
Sachsenhausen. Sehenswürdigkeiten sind: die neu erbaute
Hauptkirche, die Domkirche, das Rathhaus oder der Römer, mit
der goldenen Bulle, das deutsche Haus, der Thurn- und Taxis'sche
Palast, die uralte Leonhardskirche, die Börse, die
Zeughäuser, die Gieserey, das Zuchthaus, die Spitäler,
das Senkenbergische Stift, das neue Irrenhaus, die Stadtbibliothek
mit einem beträchtlichen Münzkabinet, die neuerbauten
reformierten Bethäuser, das Schauspielhaus und die
Maynbrücke, vor dem Friedberger Thor ein Monument von
Friedrich Wilhelm II. zum Andenken der Wiedereinnahme von
Frankfurt, der Saalhof, ehemalige Residenz der Karolinger. Der
Bibliotheken und Naturalien-, Kupferstich- und
Gemäldesammlungen sind mehrere. Das deutsche
National-Schauspiel, Koncert, Gesellschaften oder Kollegien, das
Vauxhall und die öffentlichen Bälle u. s. w. geben viele
Unterhaltung. Der Handel ist blühend. Frankfurt treibt den
Mittelhandel zwischen Frankreich, Holland und dem südlichen
Deutschland. Der beträchtlichen Fabriken sind mehrere
daselbst. Es ist hier ein Oberpostamt und mehrere Posten. Frankfurt
hat, wie bekannt, zwey der berühmtesten Messen in Deutschland,
wo besonders der Aufenthalt angenehm und gesellschaftlich ist. Die
Gegend um die Stadt ist schön, hat mehrere gute Gärten
und Anlagen, z. B. die Bethmännischen beim Forsthause, viele
angenehme Promenaden, und in der Nachbarschaft sind mehrere stark
besuchte Bäder, z. B. Wilhelmsbad, Wissbaden und Schlangenbad.
Einige Meilen davon der Berg Altkönig, wegen seiner
schönen Aussicht beruhmt. Man logiere im Englischen Hof, im
Römischen Kaiser, im Rothen Haus, Weidenhof, Schwan, Goldenen
Löwen, Schwarzen Bock, Goldenen Ross, Rothen Löwen, Stadt
Kopenhagen. Zur genaueren Kenntniss von Frankfurt gebrauche der
Reisende: Thomas neuer Plan von Frankfurt 1783 und Moritz
topographische Beschreibung.» |
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In dieser Weise sind alle bedeutenderen
Städte und auch kleine Städtchen alphabetisch geordnet
aufgeführt. |
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Interessant sind besonders auch die allgemeinen
Regeln für das Reisen. Unter dem Titel Apotheke heisst es
unter Anderem: «Ein sicheres und gutes Brechmittel, nach
Ueberladung des Magens und daher entstehender Neigung zum Brechen,
oder wenn man Gift oder irgend etwas Schädliches genossen zu
haben befürchtet, ist der Saft einer Zwiebel, in warmes Wasser
gedrückt und getrunken. - - Die vorzüglichsten Mittel zur
Errettung der Scheintodten sind, ausser dem Bürsten und dem
Instrumente zum Tabaks |
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